Die Kunst Gedanken zu meistern
-  Wegweiser für empathische Menschen


Wie alles begann


Vor vielen Jahren hatte ich im Tai Chi Unterricht ein Schlüsselerlebnis. Ich fuhr direkt von der Arbeit zum Training, zog mich in Windeseile um und betrat abgehetzt die Trainingshalle. Während der Meditation schossen mir unentwegt Gedanken durch den Kopf. Ich war körperlich anwesend, in meinen Gedanken jedoch ganz woanders unterwegs. Von dem, in der Meditation angestrebten gedankenfreien Zustand war ich meilenweit entfernt. Dann fingen wir mit den Tai Chi Übungen an. Ich atmete tief ein, hob die Arme und hörte plötzlich ganz laut meinen Trainer rufen: 

"STOP!"

 

Ich war ziemlich erschrocken über dieses laute STOP. "Ich habe doch noch gar nicht richtig angefangen" entgegnete ich irritiert und dann kam von ihm der entscheidende Satz:

 

"Du denkst!"


Und er fügte hinzu: "Du bist mit deinen Gedanken überall, aber nicht hier. Ich kann das sehen. Und solange du das tust, macht es keinen Sinn weiter zu machen." Da stand ich nun. Zumindest hatte mein Trainer in diesem Moment meine volle Aufmerksamkeit und ich war komplett anwesend. Aber dann fing sich das Gedanken-Karussell wieder an zu drehen, denn jetzt hatte ich einen neuen Gedanken im Kopf: "Er sieht es, wenn ich in Gedanken abschweife." Ich war verunsichert. Das Dilemma ist, dass der Gedanke "Ich darf nicht denken" ebenfalls ein Gedanke ist. Das ist so, wie mit dem viel zitierten Satz von dem farbigen Elefanten. Ich nehme jetzt mal als Beispiel ein Zebra. "Denken sie nicht an ein Zebra mit rot-schwarzen Streifen." Und schwupps, galoppiert dieses Zebra durch den Gehirnkasten.
Ich fühlte mich also beobachtet und war verunsichert. Ich wollte unbedingt mit meiner Tai Chi Form weiterkommen, doch die Wahrscheinlichkeit, dass mir mein Lehrer nichts mehr zeigen würde, solange ich mich in meinen Gedanken in der Vergangenheit oder in der Zukunft befand und nicht im Hier und Jetzt, war sehr groß.

Also übte ich mich auch außerhalb des Trainings darin, meinen stetigen Gedankenfluss zu unterbrechen. Und da es damals noch nicht so viele hilfreiche Anleitungen im Internet gab, stellte ich mir mein eigenes, individuelles Trainingsprogramm zusammen. Ich musste zu jener Zeit oft weitere Strecken mit dem Auto zurücklegen und so gab ich mir selbst Anweisungen, wie zum Beispiel: "Vom Frankfurter Kreuz bis Wiesbaden wird jetzt nicht gedacht." 

"Du fährst Auto ohne zu denken?" fragten mich Freunde und Bekannte immer wieder, wenn ich davon erzählte und sie sahen mich dabei an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. "Ist das nicht gefährlich?"
Autofahren ist ein Denkprozess. Jedoch ist dieser zu einem großen Teil automatisiert. Das heißt, wir haben es schon so oft getan, dass wir nicht mehr darüber nachdenken müssen, wie wir die Gänge einlegen, Gas geben etc.. Und gerade deshalb ist es die Gelegenheit, sich voll und ganz auf die Straße zu konzentrieren, was nebenbei bemerkt, sowieso sehr zu empfehlen ist. Zu Beginn fand ich nicht die passenden Worte, um zu erklären, um welche Form des Denkens es geht, wenn ich von einem Gedanken-Stopp spreche. Ich werde dies zu einem späteren Zeitpunkt noch genauer erläutern.

Ich fuhr also bewusst Auto und genoss es, längere Strecken zu fahren, denn dies gehörte zu meinem Gedanken-Stopp-Intensivtraining. Ich beobachtete alles, was um mich herum geschah sehr genau und immer, wenn ein Gedanke kam, der in meinem Kopf ein Bild aus der Vergangenheit erzeugte oder, der mich, ebenfalls mit bildlichen Vorstellungen, Pläne für die Zukunft schmieden ließ, gebot ich dem Treiben sofort Einhalt. Das, was ich da tat, wird heute als Achtsamkeitsübung bezeichnet. Damals hatte ich noch keine Bezeichnung dafür. Für mich war es eine Form der Meditation, was selbstverständlich zu weiteren Missverständnissen zwischen mir und meinen Zuhörern geführt hat.

Zeitmangel war damals ein großes Problem für mich und ehrlich gesagt, geschieht das heute noch, aber ich kann viel besser damit umgehen. Ich wünschte mir, der Tag hätte mehr als 24 Stunden und deshalb brauchte ich Achtsamkeitsübungen, die keine extra Zeit in Anspruch nahmen, z.B. intensives Händewaschen. (In Zeiten der Pandemie ist dies sowieso angesagt.) Ich machte das Händewaschen zu so einer Art "Ritual". Das Gleiche tat ich mit dem Geschirrspülen. Ich nutzte all die vielen Dinge, die wir so oft tun, dass sie automatisch ablaufen, als Übungen im Meistern meiner Gedanken.


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